REINHARD MATZ

KUNSTREPRODUKTION ALS INTERPRETIERENDE KUNST. 145 JAHRE AUSSTATTUNGSFOTOGRAFIE AM KÖLNER DOM
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1. Theoretisches
VOR EINIGEN WOCHEN faszinierte mich am Verkaufsstand des Berliner Pergamon-Museums die Farbpostkarte eines antiken Kopfes. Die ungewöhnlich detailierte Beschriftung auf der Rückseite erläuterte, dass es sich bei dem Marmorkopf um ein "Porträt des pergamenischen Königs Attalos I.„ vom "Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr.„ handele, "Höhe 39,5 cm„. Während des Museumsbesuchs hatte ich den Kopf offenbar übersehen. Die Fotografie beeindruckte mich aber derart, dass ich mich nach dem Standort erkundigte und noch einmal zurückging. Als ich den entsprechenden Raum betrat, erkannte ich den immerhin überlebensgroßen, an zentraler Stelle postierten Kopf schnell wieder. Ich hatte ihn auch beim Rundgang wahrgenommen, aber als einen von vielen nicht weiter beachtet und bereits vergessen.

Was war passiert? Wie konnte mich die Fotografie eines Kunstwerks in nachhaltigen Bann schlagen, während ich am Original achtlos vorüberging? Selbst Fotograf bemerkte ich als erstes das unterschiedliche Licht. Im Museum war der Kopf in sanftes, linksseitiges Nordlicht gehüllt, das ihn - aufgehellt noch durch allgemeines Saallicht - äußerst weich, kaum merklich konturierte. In der Fotografie fällt exakt auf das Objekt abgestimmtes Kunstlicht von oben, leicht nach vorne rechts versetzt auf den Kopf, ein Licht, das die Materialität und Physiognomie des Königskopfes herausarbeitet und damit überhaupt erst präsent macht: die kraftvollen, wenngleich aufgesetzten Haarsträhnen, den Bogen der Augenbrauen, die leicht gerundete Nase, den ausgeprägten Mund, die Ansätze der Wangenknochen und einer Stirnfalte. Dass mir das Bild durch die isolierte Präsentation seines Gegenstands vor neutralem Hintergrund die Anstrengung der Konzentration auf das Einzelobjekt - verglichen mit einem Raumeindruck voller vergleichbarer Objekte - abnimmt, sei vorausgesetzt.
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