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1930
nebst Abbildung, aber auch der neueren Abbildung
2,
interpretiert die Geschlechtlichkeit der plastischen Arbeit 1987 sehr
viel vorsichtiger: »Aus einem kopftuchartig drapierten, der Dreiecksform
der Miserikordie in den Faltenzügen folgenden Stoff schaut ein leicht
negroides, bartloses Menschengesicht hervor.«7
Zu den Aufnahmen des Chorgestühls haben wir zunächst mit einer
Taschenlampe Richtung und Höhe des Hauptlichts festgelegt, dann ein
Licht gesetzt, das (für den kunsthistorischen Gebrauch) alle schnitzerischen
Details zeigt, also nirgends überstrahlt oder im Schatten versinkt,
ein Licht, das nichtsdestoweniger die Plastizität des Gegenstands
so weit wie möglich profiliert und dabei eine Wirkung erzielt, die
unserer Vorstellung davon entspricht, was an dem Objekt wichtig sei -
oder was es überhaupt sei. Tatsächlich konnte ich mich bei der
gezeigten Miserikordie nicht entscheiden. Schließlich habe ich das
hölzerne Gesicht vom gleichen Kamerastandpunkt in drei geringfügigen
Lichtvarianten aufgenommen, hart und relativ flach, weicher und steiler.
Ich weiß nicht, ob Sie mir angesichts der noch geringen Unterschiede
zu folgen bereit sind, aber ich sehe einmal einen Mann, dann eine Frau
und schließlich ein androgynes Wesen.
Sie fragen, was für einen Menschen diese Schnitzarbeit denn nun wirklich
darstellt? Wie gesagt, ich konnte mich nicht entscheiden: eine Frage der
Laune, des Lichts, der individuellen Präferenz und Projektion. Diese
Offenheit ist der Vorteil guter Kunst, sie bietet den Stoff für fortwährende
fotografische und kunsthistorische Interpretationen. Denn überprüfen
werden wir das zum Gesicht gehörige Geschlecht nicht können.
Das ist ihr Nachteil.
2. Historisches
Das
ALLGEMEINE BEWUSSTSEIN
über den Kölner Dom ist heute von seiner berühmten Doppelturmfassade
geprägt, während die kunstvolle Einrichtung des Bauwerks im
Einzelnen kaum bekannt ist. Das war nicht immer so. Zwanzig
4
Dominique Paine / Michel Frizot: Photographie/ sculpture. Un
bilan de proximité, in: dieselben: Photographie/Sculpture, Paris
1991, S. 9,
Übersetzung RM.
5 Ich beziehe die Metapher des Verhältnisses von Partitur und
Musik von Janos Frecot,
der sie allerdings für das Verhältnis von
(historischem) Negativ zu (neuem) Abzug in den Diskurs über
Fotografie einführte;
vgl. Ztsch. Fotogeschichte, Nr. 35, Frankfurt Main 1990, S. 63.
6 Bernhard
von Tieschowitz: Das Chorgestühl des Kölner Domes,
Berlin 1930,
S. 17, als Tafel Nr. 43a dort abgebildet.
Ulrike Bergmann:
Das Chorgestühl des Kölner Domes, Bd.
2,
Neuss 1987,
S. 17.
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